GVA-Präsident Thomas Vollmar im Interview

“Die größte Herausforderung ist die Digitalisierung des Fahrzeugs“

Thomas Vollmar GVAThomas Vollmar hat Hartmut Röhl im Jahr 2022 an der Spitze des GVA abgelöst. In seiner Präsidentschaft muss er Antworten auf die Transformation der Branche finden.   Foto: Kay Lehmkuhl

Herr Vollmar, der GVA braucht mehr Mitglieder, um auch langfristig über genügend finanzielle Ressourcen zu verfügen und juristische Initiativen für die Interessen der Akteure im freien Teilemarkt auf den Weg zu bringen. Auf der Mitgliederversammlung haben Sie intensiv geworben. Wie war die Resonanz und wie will der GVA künftig akquirieren? 

Thomas Vollmar: Es gibt wirtschaftliche Entwicklungen im Markt, die automatisch zu Mitgliederschwund in der Anzahl führen. Dazu zählt zum Beispiel die Konsolidierung im Teilegeschäft. Umso wichtiger ist es, dass wir die Unternehmen erreichen, die noch nicht Mitglied im GVA sind, aber von der Arbeit des GVA, wie der politischen Interessenvertretung des freien Teilehandels, profitieren. Seit der Jahresmitgliederversammlung im Mai 2022 konnten wir zahlreiche Neumitglieder im Verband begrüßen. Es waren viele an einer Mitgliedschaft interessierte Unternehmen auf der GVA-Automotive Conference zu Gast und haben das persönliche Gespräch gesucht. Der GVA hat Strahlkraft und unsere Arbeit wird in der Branche geschätzt – das sind gute Voraussetzungen. Das Thema Mitgliederwerbung bleibt weiterhin eines der Top-Themen. Dabei müssen wir die Erfolge des GVA und den Beitrag des GVA für die Zukunftsfähigkeit der gesamten Branche weiter klar und deutlich kommunizieren.

Die vom Europäischen Gerichtshof getroffenen Feststellungen zur Erleichterung des Zugangs zu den technischen Informationen der Hersteller begrüßen Sie. Erläutern Sie uns bitte kurz den Hintergrund. Was wird nun leichter?

Thomas Vollmar: Der GVA hat vor dem Europäischen Gerichtshof (C-319/22) einen wichtigen Erfolg für fairen Wettbewerb auf dem Automotive Aftermarket erstritten. Der vom GVA verklagte Hersteller, Scania, hatte die Herausgabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (VIN) an Dritte mit Hinweis auf den Datenschutz verweigert, weil die VIN ein personenbezogenes Datum sei. Die Richter des Europäischen Gerichtshofes sehen das anders und haben mit ihrer Klarstellung den Wettbewerb auf den Märkten für Teile und Service in der Europäischen Union gestärkt. Fahrzeughersteller müssen die Fahrgestellnummern (VIN) zur Verfügung stellen, wodurch passende Ersatzteile und technische Informationen für das konkrete Fahrzeug schnell und präzise recherchiert werden können. 

Des Weiteren müssen Fahrzeughersteller technische Informationen in einem Format bereitstellen, das zur elektronischen Weiterverarbeitung vorgesehen ist. Das gilt nicht nur für Ersatzteilinformationen, sondern für sämtliche Reparatur- und Wartungsinformationen. Die Position mancher Fahrzeughersteller wie im Ausgangsverfahren, dass auch zum Beispiel ein als PDF speicherbarer Screenshot ein geeignetes Format darstelle, ist damit nicht haltbar. Zwar hat der Europäische Gerichtshof betont, dass der Zugang zu den Informationen nicht zwingend über eine automatisierte Datenbankschnittstelle mit der Möglichkeit maschinengesteuerter Suchanfragen vorgehalten werden muss. Fahrzeughersteller müssen aber alle technischen Informationen inkl. der VINS als elektronisch verarbeitbare Datensätze bereitstellen und zusätzlich speziell für Ersatzteilinformationen eine gesonderte Datenbank vorhalten, die unabhängige Anbieter sowohl über die VIN als auch über andere Kriterien nach den benötigten Informationen durchsuchen können, um auch hier die Ergebnisse dann als elektronisch verarbeitbare Datensätze zu erhalten. 

Diese Erleichterung des Zugangs zu den wichtigen technischen Informationen wird es unabhängigen Anbietern ermöglichen, besser auf die Anforderungen des Marktes zu reagieren. Dadurch steigen Auswahl und Qualität der Angebote im Sinne der Verbraucher.

Auch das Teilegeschäft befindet sich in einer Transformation. Was sind die größten Herausforderungen in den nächsten Jahren?

Thomas Vollmar: Es gibt mehrere Herausforderungen, die parallel ablaufen. Die größte Herausforderung ist die Digitalisierung des Fahrzeugs und die daraus resultierenden Rahmenbedingungen für den Sekundärmarkt. Damit die hoch innovativen Akteure des freien Automotive Aftermarket nicht ins Abseits geraten und auch rund um das digitale Auto Dienstleistungen anbieten können, bedarf es geeigneter rechtlicher Rahmenbedingungen. Die jetzige Situation bevorteilt die Fahrzeughersteller, da die fahrzeuggenerierten Daten auf ihren Servern liegen und sie zugleich als Wettbewerber auf dem Automotive Aftermarket auch den Zugang zu diesen Daten kontrollieren. Wir brauchen dringend einen geeigneten rechtlichen Rahmen, der fairen Wettbewerb bei dem Thema fahrzeuggenerierte Daten herstellt. 

Mit einer breiten Verbändeallianz setzt sich der GVA für eine sektorspezifische Regulierung beim Zugang zu Fahrzeugdaten und fahrzeuggenerierten Daten ein. Diese muss unter Einhaltung von Sicherheitsvorschriften einen diskriminierungsfreien, bidirektionalen Zugang in Echtzeit zu Fahrzeugdaten, -funktionen und -ressourcen beinhalten. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Die Europäische Kommission muss noch vor der Europawahl im Juni 2024 einen Vorschlag einbringen, sonst droht eine weitere jahrelange Verzögerung zu Lasten des freien Marktes und der Verbraucher.

Die “Neue Mobilität” erfordert Anpassungsfähigkeit. Besonders die zunehmende Bedeutung der Elektromobilität wird den Bedarf an Komponenten im Werkstattgeschäft verändern/verringern. Noch vollzieht sich der Wandel in überschaubarem Tempo, er wird aber Fahrt aufnehmen. Wie bereiten Sie Ihre Mitglieder vor?

Thomas Vollmar: Ja, eine weitere Herausforderung, die nicht minder wichtig ist, aber bei der der Zeitdruck ungleich niedriger ist, ist die E-Mobilität. Die Entwicklungen in der Erstausrüstung treffen den Sekundärmarkt erst mit teils erheblicher Verzögerung. Bis eine hinreichend große Menge an E-Autos auf dem freien Markt ist und für den freien Automotive Aftermarket eine relevante Größe erreicht, wird es noch viele Jahre dauern. Das bedeutet natürlich nicht, dass sich die GVA-Mitglieder erst damit befassen, wenn es soweit ist. Die GVA-Handelsmitglieder beobachten die Angebots- und Nachfrageseite sehr genau und passen ihr Angebot dementsprechend an. Es bleibt also noch Zeit, um die notwendigen Kompetenzen im Bereich Services rund um das E-Auto weiter auszubauen. Unsere Mitglieder sind bereit.

Auf der GVA-Versammlung hatten Sie ein Programm geschnürt, das neben der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung auch den Bereich eFuels/reFuels thematisierte. Unverständnis gegenüber einer "gewissen Ignoranz" seitens der Politik wurde formuliert. Was sind Ihre Forderungen und wie begründen Sie diese?

Thomas Vollmar: Der GVA teilt die Bemühungen, den Klimaschutz auch im Verkehrssektor voranzutreiben. Genau aus diesem Grund setzen wir uns für klimaneutrale eFuels ein. Es geht nicht um ein für und wider einer bestimmten Antriebsart. Der GVA ist davon überzeugt, dass der Klimaschutz mehrerer Technologien bedarf, die sich gegenseitig ergänzen. Auch mittelfristig wird der Großteil des Fahrzeugbestandes mit Verbrennungsmotoren angetrieben. Würde dieser große Teil an Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren, wenn auch nur zum Teil, mit klimaneutralen eFuels angetrieben, wäre für den Klimaschutz viel getan. Die einseitige Festlegung auf E-Mobilität, die sehr viel Geld kostet, welches an anderer Stelle fehlt und gleichzeitig neue, sehr beunruhigende Abhängigkeiten schafft, kritisieren wir, nicht die E-Mobilität an sich. Die verschiedenen Antriebsarten können koexistieren und ihren Anteil leisten.

Und auch um den Wirtschaftsstandort Deutschland machen Sie sich Sorgen. Was muss besser werden? Welche Rahmenbedingungen erwarten Sie als Verbandspräsident und Unternehmer?

Thomas Vollmar: Als Präsident eines Unternehmerverbandes mache ich mir große Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Unserer Branche an sich geht es gut, wir verzeichnen ein gutes Jahr 2023. Das gilt auf keinen Fall für die Gesamtwirtschaft. Die Lage wäre halb so schlimm, wenn die Wachstumsschwäche Deutschlands konjunktureller Natur ist. Das ist sie aber nicht. Das Land hat massive Strukturprobleme, welche über eine konjunkturelle Schwäche hinausgehen. Da ist zum einen eine überbordende Bürokratie, die den vielen Unternehmen das Leben schwer macht, Stichwort: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

Zum anderen setzt die Demographie dem Land schwer zu – ein Problem, das das Wachstumspotential auf Dauer senken wird, wenn es kein geeignetes Gegensteuern gibt. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die Arbeit wieder attraktiver machen und Unternehmen dabei unterstützen, international wettbewerbsfähig zu sein.

Herr Vollmar, wir bedanken uns für Ihre Ausführungen.

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