Profilierungschancen und verlässliche Erträge

Im Vorfeld der Zweiradsaison 2023 hatten Reifenindustrie und Handel ein weiteres Jahr der Konsolidierung angekündigt – Lieferschwierigkeiten und erhebliche Preissteigerungen waren damals die dominanten Faktoren im Reifenersatzmarkt für Motorräder. Ein Jahr später lässt sich konstatieren: Der Markt ist relativ stabil, auch wenn sich nicht alle Erwartungen erfüllt haben. Die Zulassungszahlen 2023 dürfen einmal mehr als Beleg dafür angeführt werden, dass hierzulande weiterhin ein gutes Bereifungspotenzial besteht. Aber dazu später mehr. 

Preisdynamik und Produktvielfalt

Das kräftige Drehen an der Preisschraube seitens der Reifenhersteller im vergangenen Jahr wurde auf Handelsseite sehr kritisch beurteilt. Die Betriebe konnten die Erhöhung nicht in vollem Maße an Endverbraucher weiterreichen. Nun steht die Motorradsaison 2024 bevor, Preisdynamiken und gestörte Lieferketten sind aktuell abgemilderter im Fokus. Nachdem im Vorjahr mit Produktneuheiten im Zweiradsegment eher gegeizt wurde, rollt aber eine Vielzahl neuer Gummis in den Markt. Bridgestone stellt den Battlax Hypersport S23 vor, Pirelli mit dem Scorpion Trail III einen neuen Enduro-Straßenreifen für Maxi-Enduros, Metzler adressiert mit dem Roadtec 02 Besitzer:innen von Naked-, Crossover-, Sport-Tourer- sowie Tourer-Motorrädern und Michelin legt mit dem Power 6, Power GP 2 und Anakee Road gleich ein Trio vor. 

Markt bleibt hinter Prognose zurück

Die Nachfrage nach Motorradreifen blieb mit einem nur minimalen Mengenrückgang von 0,5 Prozent im Jahr 2022 laut dem Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. weitgehend stabil. Für 2023 wurde von Brancheninsidern vorab ein Plus von 2,5 Prozent auf rund 1,7 Millionen Motorradreifen erwartet. Finale Zahlen zum Sell-Out im deutschen Markt liegen zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht vor, sie werden aber unterhalb dieser Prognose liegen – ein wesentlicher Faktor war das insgesamt durchwachsene "Motorrad"-Wetter von März bis Mai. Die European Tyre and Rubber Manufacturers’ Association (ETRMA) beziffert den Rückgang im gesamten europäischen Ersatzmarkt für Zweiradbereifung (Roller und Motorräder) auf -11 Prozent. 

Und 2024? Die vom Industrieverband Motorrad e.V. bis zum November erfassten Zulassungszahlen zeigen über die Marktsegmente hinweg ein Gesamt-Plus von 8,8 Prozent. Das dominante Segment ist dabei weiterhin das der Naked Bikes. 33,09 Prozent beträgt der Marktanteil bei den Zulassungen. Es folgen die Segmente Adventure (14,5), Enduro/Supermoto (8,7), City-Classic (8,5), SBK/SSP/Sport (7,1), Chopper (6,2) und Grand Tourismo (4,7). Der Anteil der Elektro-Motorräder liegt hierzulande übrigens bei 0,7 Prozent. Der Fahrzeugklassenvergleich sieht laut IVM in der Prozentaufteilung folgendermaßen aus: Kraftrad (58,2), Leichtkraftrad (16,1), Leichtkraftroller (16,1) und Kraftroller (8).  

Wie bereits erwähnt, Bereifungspotenzial im Ersatzmarkt müsste bei frühzeitigem Frühlingsanfang und entsprechend hoher Durchschnittskilometerleistung pro Einheit ausreichend bestehen. Die relevanten Reifenhersteller haben zudem ihre Portfolios weiter modernisiert und liefern – das zeigen die Reifentestergebnisse des Vorjahres – eine durchweg überzeugende Produkt-Performance. Der Motorradreifenmarkt dürfte sich folglich weiterhin als stabil erweisen. 

Angeraute Pellen – so will man das sehen. (Foto: Unclesam - stock.adobe.com)

Qualitative Dichte

Wie sich die erwähnten Produktneuheiten qualitativ wirklich einordnen, werden die Tests der Saison 2024 zeigen. Ein Blick auf die Ergebnisse des Vorjahres zeigt, schlechte Reifen gibt es in den Katalogen der Premiumhersteller im Grunde nicht. Und Budget-Pellen werden hierzulande nur marginal verkauft. Motorrad testet immer gern Bereifung für Großenduros vom Schlage einer BMW 1250 GS in der Dimension 120/70 R19 vorn und 170/60 R17. Die Bilanz des Tests 2023 fiel so aus: der Offroader Metzeler Karoo 4 mit dem Gesamturteil “befriedigend” – Offroad-Duellant Conti TKC 70/Rocks mit dem Gesamturteil “gut” sei eher “für Gelegenheits-Offroader” mit dem Wunsch nach Straßenperformance zu empfehlen. Der mit “gut” bewertete AT 41 von Bridgestone finde in “Ausflügen über Naturpisten sein Revier”. Der Metzeler Tourance Next 2, der Michelin Road 6 (“ein Top-Reifen im Regen") und der Dunlop Roadsmart IV erhielten alle die Gesamtnote “sehr gut”.

Die Prognosen seitens Handel und Industrie für die Saison fallen allgemein zuversichtlich aus. Christelle Dehlinger, Marketing & Sales Director Motorcycle & Bicycle tires bei Michelin, rechnet mit einem leichten Anstieg des Absatzes im Ersatzgeschäft: “Der deutsche Reifenmarkt für motorisierte Zweiräder war 2023 im Vergleich zum Vorjahr leicht rückgängig. Das ist vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen: Zum einen haben sich die Lieferketten und die Nachfrage im Anschluss an die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie wieder normalisiert. Zum anderen war die Motorradsaison 2023 wetterbedingt sehr kurz, wodurch viele Fahrer:innen weniger Kilometer als üblich zurücklegen konnten. 2024 planen wir wieder mit einem leichten Wachstum.” Der Handel ist die zentrale Instanz zur Vermarktung. Die bekannten Reifenmarken versuchen sich mit den bekannten Instrumenten für Zweirad-Servicebetriebe attraktiv zu machen: Aufgefrischte Produktkataloge, persönliche Betreuung durch den Außendienst, Schulungsangebote sowie diverse Marketing-Kampagnen – die Stellschrauben zur Partnerpflege werden von quasi allen Herstellern unisono gedreht. Ja, das Geschäft mit Motorradreifen ist ein Nischensegment – aber es ist eines, das verlässlich Erträge sichert und die Möglichkeiten bietet, sich als Fachbetrieb zu profilieren und Kunden langfristig zu binden. Der qualitative Anspruch entscheidet auf Handels- und Herstellerseite über den Markterfolg. Auf geht's in die Motorradsaison 2024.