Ersatzmarkt-Geschäft mit Sommerreifen

Top-Trends Preissensibilität und Nachhaltigkeit

SommerreifenReine Sommerreifen performen im oberen Preissegment noch immer verlässlicher und effizienter als Ganzjahresreifen.  Foto: candy1812 - stock.adobe.com

Von Kay Lehmkuhl & Daniel Willrich

Das Reifengeschäft im Ersatzmarkt wies in den vergangenen Jahren mehrere eindeutige Trends auf. Die Nachfrage nach Ganzjahresreifen stieg konstant. Entwicklungsseitig gewannen Kriterien der Effizienz und Nachhaltigkeit an Bedeutung – die Reifenhersteller trimmen ihre Produkte zunehmend in diese Richtung, idealerweise ohne sicherheitsrelevante Aspekte in der Entwicklung zu vernachlässigen. Und auch das Thema Preissensibilität hat im Zuge wirtschaftlicher Unsicherheiten stark an Bedeutung gewonnen. Wir haben diese Trends bei den für Automotive Insights relevanten Reifenherstellern abgefragt und erhielten Antworten, die ein genaueres Bild der aktuellen Marktsituation ermöglichen. 

Wachsende Nachfrage nach Ganzjahresreifen

In den europäischen Märkten lag die Zahl der verkauften Sommerreifen 2023 im Ersatzmarkt laut ETRMA knapp 9 Prozent unter dem Vorjahreswert. Ganzjahresreifen legten aber europaweit im Absatz um 7 Prozent zu. Diese Entwicklung bestätigen auch die Hersteller. “2023 hat sich der Anteil an Allwetterreifen auch in Deutschland vergrößert. Aktuell gehen wir davon aus, dass der Anteil weiter steigen wird, jedoch wird die Kurve im Vergleich zu den letzten vier bis fünf Jahren nicht mehr ganz so steil nach oben gehen. Unser Produktportfolio in Deutschland stellt sich aktuell wie folgt dar: Sommerreifen 32 Prozent, Winterreifen 32 Prozent, Allwetterreifen 36 Prozent”, nennt Claus Gömmel, Hankook Head of Sales Consumer Products, auf Redaktionsanfrage konkrete Zahlen. 

Auch im Hause Pirelli registriert man die sich verschiebenden Nachfrage-Präferenzen und reagiert: ”Die Entwicklung des Reifenmarktes reflektiert die dynamischen Kundenbedürfnisse und klimatischen Veränderungen. In unserem Portfolio balancieren wir die Anteile von Sommer-, Winter- und Ganzjahresreifen sorgfältig aus, um auf diese Trends zu reagieren und unseren Kunden eine breite Palette an Reifenoptionen anzubieten”, so Erik Vecchiet, Geschäftsführer Vertrieb & Marketing Pirelli Deutschland. 

Aus qualitativen Erwägungen heraus empfiehlt sich immer die Argumentation pro Saisonalkönner. Reine Sommerreifen performen im oberen Preissegment noch immer verlässlicher und effizienter als Ganzjahresreifen. Reifentests belegen dies in Serie. Es gibt aber natürlich die wechsel-muffige Kundschaft – und es gibt ja tatsächlich auch Fahrzeuggruppen und Anwendungsbereiche, die mit qualitativer Ganzjahresbereifung gut bedient sein können. Aus Sicht von Servicebetrieben bedeutet Ganzjahresbereifung aber zuerst einen reduzierten Kundenkontakt und folglich weniger Chance, Zusatzservices zu offerieren. Generell lässt sich aber auch hier nicht nur der Trend Richtung All-Season erkennen, sondern auch die bereits angedeutete zunehmende Preissensibilität. Doch dazu später mehr. 

17 Zoll und aufwärts legen zu  

Im Reifenersatzmarkt haben sich in den vergangenen Jahren aber nicht nur die vermarkteten Anteile der unterschiedlichen Produktgruppen signifikant verschoben. Das heutzutage angebotene Dimensionsspektrum ist mit dem vergangener Tage nicht mehr zu vergleichen. “Das Angebot an Reifengrößen und -breiten hat sich in den letzten zehn Jahren erweitert. Dies ist teilweise auf die Einführung neuer Fahrzeugmodelle mit unterschiedlichen Anforderungen an die Reifengröße zurückzuführen. Außerdem gibt es einen Trend zu größeren Felgendurchmessern und breiteren Reifen, da diese oft mit einer verbesserten Optik und Performance assoziiert werden”, erläutert Timo Röbbel als Marketing-Verantwortlicher der Reifendivision von Continental. “Der Anteil von 17-Zoll-Reifen und größer ist deutlich gestiegen”, bekräftigt Claus Gömmel.

Und auch der Fokus in der Produktentwicklung verschiebt sich. Ilhan Kurban vom koreanischen Reifenhersteller Kumho teilt mit: “Die Entwicklungsschwerpunkte bei Sommerreifen haben sich deutlich verändert. Während früher vor allem die Optimierung von Nass- und Trockenhaftung sowie Rollwiderstand im Fokus standen, spielen heute auch Aspekte wie Langlebigkeit, Umweltverträglichkeit und Geräuschentwicklung eine immer wichtigere Rolle.” Dies gilt für das Consumer-Segment allgemein, zeigt sich jedoch in besonderem Maße bei EV-Profilen. Die vielfältigen Anforderungsprofile gilt es seitens der Hersteller auszubalancieren, nachhaltige und sicherheitsrelevante Kriterien in idealer Weise zu vereinen. Zu den Gründen der veränderten Entwicklungsschwerpunkte gibt Michelin-Technikexperte Pierre Ehnis zur Auskunft: “Ursächlich sind insbesondere aktuelle Themen wie die Klimakrise oder politische Entwicklungen wie die Euro-7-Norm, durch die gerade Aspekte wie Reifenabrieb, Langlebigkeit und die Integration nachhaltiger Materialien zunehmend an Bedeutung gewinnen.” 

Treiber dieser Entwicklung sind auch die Fahrzeughersteller, die für die Erstausrüstung ihrer Modelle Bereifung wünschen, die stärker auf Effizienz- und Umweltaspekte getrimmt ist. “Die weitere Reduzierung des Rollwiderstandes ist ein wichtiges Ziel der Reifenentwicklung. Energieeffizienz ist für Fahrzeughersteller und damit für das Reifen-Erstausrüstungsgeschäft ein wichtiger Aspekt, um den CO2-Ausstoß der Herstellerflotten zu reduzieren”, erläutert Timo Röbbel. Qualitative Entwicklungssprünge realisieren die Reifenhersteller besonders über neuartige Gummimischungen, die eine bessere Balance zwischen Haftung und Verschleiß ermöglichen. Und die Reifenproduktion wird insgesamt nachhaltiger. Röbbel führt hierzu aus: “Schritt für Schritt wird schon heute sichtbar, welche Rohstoffe künftig Einzug in den Reifenbau halten werden. Dazu gehören Abfallprodukte aus der Landwirtschaft – wie zum Beispiel die Asche von Reishülsen – Kautschuk aus Löwenzahn, recyceltes Gummi oder PET-Flaschen.” Nicht zu unterschätzen ist hinsichtlich einer nachhaltigeren und effizienten Produktionsweise auch der Ausbau der virtuellen Entwicklungskapazitäten

E-Mobilität verschiebt Entwicklungsparameter

Ein weiterer offensichtlicher – und bereits benannter – Faktor, der die Reifenentwicklung maßgeblich verändert, ist der fortschreitende Wandel der Antriebsarten. Vollelektrische Fahrzeuge stellen andere Anforderungen an ihre Reifen, die es entsprechend bereits bei der Konzeption zu berücksichtigen gilt. “Gerade Themen wie Reichweite, Drehmoment, Geräuschentwicklung aber auch das erhöhte Gewicht der Fahrzeuge müssen hier bereits in der Entwicklung der Reifen mitgedacht werden”, erläutert Pierre Ehnis. Erik Vecchiet von Pirelli fasst die Anforderungen EV-spezifischer Gummis wie folgt zusammen: “Diese Reifen sind rollwiderstandsarm, haben ein hohes Grip-Niveau, eine robuste Struktur und eine abriebfeste Mischung.” Reifen-Ingenieure sind also auch bei EV-Reifen aufgefordert, eine Vielzahl an Merkmalen und Eigenschaften bestmöglich miteinander in Einklang zu bringen. Mit Blick auf das eigene EV-Profil e.Ziex unterstreicht Philipp Wolz, Product Planner bei der Falken Tyre Europe GmbH, jedoch ein Element als zentrales Kriterium: “Der Unterschied zu den ‘normalen’ Straßenreifen ist ganz klar der stark verbesserte Rollwiderstand.”

Ein Reifenhersteller, der sich bereits früh und mit großer Vehemenz auf dem Feld dedizierter EV-Reifen positioniert hat, ist Hankook – der zuvor genannte große All-Season-Anteil im Hankook-Portfolio liegt auch in dieser frühzeitigen Positionierung begründet. Kernprodukt der EV-Strategie der Koreaner ist die iON-Reifenfamilie, die nach dem jüngsten Update neben je einem saisonalen Spezialisten auch einen Ganzjahresreifen umfasst. Am Beispiel dieser Produkte führt Claus Gömmel aus, mit welchen Konzepten Hankook den zuvor genannten Anforderungen begegnet: “Hankook-iON-Produkte sind insbesondere auf die unmittelbar einsetzenden, hohen Drehmomente ausgelegt. Bedingt durch die schweren Antriebsbatterien haben Elektrofahrzeuge ein höheres Gewicht, diesem begegnet Hankook mit einer höheren Traglast. Unter anderem besonders widerstandsfähige Aramidfasern wirken den Verformungskräften durch das bei Elektrofahrzeugen besonders hohe Drehmoment effektiv entgegen.” 

Speziell mit Blick auf Stromer und deren nicht vorhandenes Motorengeräusch rückt bei EV-Reifen darüber hinaus die Geräuschreduzierung in den Entwicklungsfokus. Als Bestandteil des EU-Reifenlabels – sowie der angesprochenen Nachhaltigkeits- und Effizienzbestrebungen – spielt dieses Element auch bei herkömmlichen Reifen eine Rolle, entfaltet jedoch bei EV-Reifen eine ungleich höhere Wirkung, wie Claus Gömmel berichtet: “Das entfallende Geräusch eines Verbrennungsmotors lenkt die Aufmerksamkeit auf diesen Aspekt.” Entsprechend seien möglichst geräuscharme Laufeigenschaften fester Bestandteil des Lastenhefts. Bei seinen iON-Reifen setzt Hankook dafür auf die sogenannte “iSound Absorber”-Technologie, die in Verbindung mit einem schallminimierenden Reifenprofil das Geräuschniveau im Fahrzeuginnenraum spürbar senken soll. 

Einen ähnlichen Weg gehen auch andere Hersteller, die ausgewiesene Stromer-Profile im Programm haben. Falken verweist am Beispiel seines e.Ziex etwa auf die unternehmenseigene “Silent-Core-Technologie”. Als Basis dieser wirkt nach Aussage von Philipp Wolz ein spezieller Schwamm im Inneren des Reifens. Kumho wiederum nennt seine entsprechende Lösung “K-Silent” und bei Pirelli sind Bemühungen zur Geräuschreduktion Teil des Technologie-Baukastens “Elect”. Als explizites EV-Profil ist etwa der P Zero E durchgehend mit dieser Technologie ausgestattet. “Pirelli hat die Elect-Technologie entwickelt, um auch Elektro- und Plug-in-Hybridfahrzeuge der Premium- und Prestigesegmente mit maßgeschneiderten Reifen ausstatten zu können und die Leistung dieser Fahrzeuge zu verbessern”, wirbt Erik Vecchiet.

EV-Strategie: Einer für alle oder einer für jeden?

Die EV-Strategie von Pirelli sieht also spezielle Entwicklungskomponenten für E-Auto-Reifen vor. Inwiefern BEV und PHEV tatsächlich gänzlich eigener Reifenserien bedürfen, da gehen die Ansichten innerhalb der Reifenindustrie allerdings auseinander. Dass etwa Continental keine expliziten EV-Profile anbietet, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Timo Röbbel verdeutlicht den Standpunkt des Hannoveraner Konzerns: “Wir sind davon überzeugt, dass es nicht den einen Reifen für alle vollelektrischen Fahrzeuge gibt, daher haben wir unser gesamtes Reifenportfolio für diese Antriebsart optimiert.” 

Auch bei Toyo Tires setzt man (noch) nicht auf spezielle Profile für die wachsende Zahl der Stromer. “Wir haben im Moment keine speziellen EV-Reifen, aber unsere Sommerreifen sind ‘EV ready'", so das entsprechende Statement des japanischen Herstellers auf unsere Anfrage. Mit Triangle entwickelt darüber hinaus ein weiterer asiatischer Konzern eigenen Angaben zufolge Produkte, die für Fahrzeuge aller Antriebsarten gleichermaßen geeignet sind. Und auch Ceat wählt eine übergreifende Vorgehensweise. “Bei Ceat gibt es einen Reifen für beide Fahrzeugtypen. Eine spezielle Produktlinie für EVs wird von Ceat in Europa nicht angeboten”, sagt Frank Gilsdorf, General Manager - NPD Exports & AE European OEMs. 

Michelin seinerseits hat mit dem Pilot Sport EV oder auch dem e.Primacy durchaus genuine EV-Reifen im Programm, verfolgt allerdings einen Ansatz, der dem von Continental nicht unähnlich ist: “Wir sorgen dafür, dass unsere Reifen sowohl den Anforderungen von klassischen Verbrennern als auch derer mit Elektroantrieb entsprechen. So kann man heute sagen, dass alle Michelin-Reifen für E-Fahrzeuge geeignet sind”, bestätigt Pierre Ehnis. Ausgewiesene Reifen für E-Mobilisten finden sich ferner wie erwähnt in den Produktkatalogen von Marken wie Hankook, Kumho, oder Falken. Der chinesische Akteur Linglong wartet ebenfalls mit speziellen EV-Reifenversionen auf, wie Andreas Krause, Director R&D Linglong Germany GmbH, berichtet: “Linglong bietet bewusst Eco-Reifen an, die hinsichtlich Rollwiderstand und Laufleistung optimiert sind. Ein Produkt für EV-Fahrer ist der Linglong Sport Master e, eine spezielle Variante unseres UHP-Reifens Linglong Sport Master.” 

Bei diesen doch durchaus unterschiedlichen Ansätzen und Vermarktungsstrategien den Überblick zu behalten, ist gerade für Verbraucher:innen nicht ganz leicht. Erik Vecchiet hat den Beratungsbedarf erkannt: “Aufgrund der vielseitigen Auswahlmöglichkeiten gilt es, gemeinsam mit dem Handel die Endkonsumenten über das breite Produkt-Spektrum zu informieren.”

Preissensibilität = Präferenz für Zweitmarken?

Jenseits von veränderten Anforderungen und Entwicklungsschwerpunkten rückt angesichts der aktuellen Konjunkturlage die Preissensibilität von Verbraucher:innen in den Fokus. Dass private Ausgaben in diesen Zeiten sorgfältiger geprüft werden, steht außer Frage. Doch inwieweit sind Reifen von dieser Entwicklung betroffen? Auf die offensive Frage von Automotive Insights, ob insbesondere die Premiumhersteller Zuwächse bei ihren kostengünstigeren Zweitmarken verzeichnen, äußern sich die Hersteller erwartbar reserviert. Konkret wird erneut der Reifenhersteller Hankook in Person von Claus Gömmel: “Ja, wir verzeichnen eine höhere Nachfrage bei Hankooks Zweitmarke Laufenn. Wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend 2024 fortsetzen wird.” 

Weitere zitierfähige Statements hierzu erhielten wir seitens der Industrie nicht, die Angaben von Hankook sowie das allgemein gestiegene Kostenbewusstsein bestätigen aber die grundsätzliche Tendenz hin zu mehr Preissensibilität. Zumal auch entsprechende Szenarien in der mittelfristigen Planung der Hersteller existieren, wie eine wenige Wochen alte Mitteilung aus dem Hause Goodyear zeigt. Der Konzern definiert die Rollen seiner Marken neu und reagiert damit nach eigenen Angaben auf ein sich abzeichnendes Wachstum im Tier-2- und Tier-3-Segment. “Dieser Trend ist in erster Linie auf den Inflationsdruck zurückzuführen, der sich auf die Verbraucherpräferenzen und das Kaufverhalten auswirkt”, heißt es seitens des Herstellers. 

Mit Blick auf die wachsenden Felgengrößen sieht Goodyear durch die veränderte Nachfrage keine Probleme für sein Tier-1-Sortiment. Dennoch hat der Hersteller in diesem Zuge Potenziale bei Verbraucher:innen ausgemacht, die “preisgünstige Optionen suchen, ohne Kompromisse bei der Qualität einzugehen”. Neben den Zweitmarken der Premiumakteure dürfte diese Tendenz sicherlich auch für das Quality-Segment von Interesse sein. Und Reifen aus dem mittleren Preissegment sind je nach Fahrpräferenz in der Regel bedenkenlos zu empfehlen. Dass auch effizienz-technisch Augenhöhe mit den Premium-Produkten im Sommerreifensegment hergestellt werden kann, beweist beispielsweise der Kumho Ecsta HS52 in den aktuellen Tests von ADAC und AutoBild. Dass konstant gute Testergebnisse einer Marke einen Schub verleihen können, hat die Vergangenheit gezeigt. Die Erwartungen an die Sommer-Umrüstsaison sind in jedem Fall formuliert: der Ersatzmarkt soll nach dem Minus 2023 wieder Fahrt aufnehmen. 

Eine Übersicht relevanter Sommerreifenmodelle findet sich in unserer Print-Ausgabe.

Michelin Pilot Sport 5
Frank Gilsdorf Ceat
Toyo Proxes Sport 2
Erik Vecchiet Pirelli
Triangle EffeXSport

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